Nachdem die diesjährige Kerb vorbei ist und die Eindrücke sich einigermaßen gesetzt haben, will ich heute berichten, wie die Hochstädter Kerb früher war:
Die Kerb gibt es schon seit dem
Mittelalter, sie wird als religiöses Fest anlässlich der Kirchweihe eines
christlichen Kirchengebäudes gefeiert. Heute spielt der religiöse Kontext meist
eine untergeordnete Rolle. Zum Weihetag einer Kirche kamen im Mittelalter viele
Menschen zusammen. Nach der liturgischen Feier war Markt und Volksfest.
Lore Knapp hat ihre erste Kerb 1938 erlebt. Nachdem sie konfirmiert
war, durfte sie zum ersten Mal auf die Kerb. Um 22 Uhr musste sie wieder zuhause sein. Sie hatte ein neues Kerbkleid, ein rosafarbenes Taftkleid.
Neue Kerbkleider gab es jedes Jahr, selbst wenn
man aus zwei alten ein neues geschneidert hat. Wie das neue Kerbkleid aussah,
durfte keiner wissen, es war ein großes Geheimnis. Wenn die Mutter nicht nähen
konnte, ließ man das Kleid von einer Schneiderin anfertigen. Das ist z.B. eines meiner Kerbkleider, hellblauer Organza. Auf dem Foto war ich zehn Jahre jung und sehr stolz darauf. Obwohl meine Mutter nicht von hier war, hat sie die Kleidertradition übernommen.
Lore hatte noch lange Zöpfe, die
sie nicht abschneiden lassen durfte, obwohl alle anderen die Haare schon kurz hatten. Abends wollte sie tanzen gehen, aber sie durfte nicht weg, ihre Mutter hatte es verboten. Sie hat dennoch getanzt, trotz der Zöpfe.
Ein Festzelt so wie heute gab es
nicht. In vier Sälen war Tanz, und zwar im Tiger, in der Krone, im Neuen Bau
und beim Strohl, hier war der größte Saal. Dort kamen immer alle Hochstädter hin,
aber auch viele Leute aus den umliegenden Dörfern.
Helga Keim berichtet, dass sie
als junges Mädchen auch tanzen war, sie hatte aber immer Angst, dass woanders
mehr los sein könnte, als da, wo sie gerade war.
Einmal war die Drehorgel an
der Schiffschaukel kaputt, es konnte keine Musik gespielt werden, die Fahrleute
waren am Verzweifeln. Weil ihr Vater immer gebastelt hat, meinte sie, dass ihr
Papa das bestimmt reparieren könne. Natürlich hat man ihr nicht geglaubt. Sie
ist heim und hat ihren Vater geholt, der brachte die Drehorgel wieder in
Ordnung, sie hat gespielt wie neu.
Das war vor der Währungsreform, keiner
wollte Geld, weil es nichts wert war, der Vater wollte auch keines. Die Fahrleute
wollten sich aber erkenntlich zeigen, deshalb schlug er vor, seiner Tochter
Freikarten für die Schiffschaukel zu geben. Sie bekam 15 Freikarten, die sie
hintereinander abgefahren hat, naja, den Muskelkater hinterher kann man sich
gut vorstellen.
Kerbgeld gab es auch, man hat die
Verwandtschaft besucht, also Tanten und Onkels, und hat gehofft, dass diese das
Portemonnaie zücken, was ja auch fast immer der Fall war.
Vor 1933 hat man auch noch Kuchen
in die Nachbarorte zu der Verwandtschaft gebracht. Aber das gab es später nicht
mehr.
1939 wurde die Kerb zum letzten
Mal gefeiert. Während des zweiten Weltkrieges gab es in Hochstadt keine Kerb,
es ging erst wieder 1946 los.
Hier im Umkreis war als erstes Kerb in Hochstadt, dann kamen
Wachenbuchen und Dörnigheim. Die Kerb war immer sonntags, mittwochs und die
Nachkerb am folgenden Sonntag. An der Ringmauer, dort wo der Garten vom Fischer
Hans war (heute sind dort die Hühner), stand eine Schiffschaukel und ein Karussell für die kleinen Kinder.
Die Verkaufsstände waren links
und rechts auf der Hauptstraße aufgebaut, dann noch um die Ecke herum,
etwa bis zum Neuen Bau. Hier trafen sich Menschen, um von den
Händlern Waren zu erstehen, und natürlich gab es auch einen Schießstand. Nach dem
Krieg waren die Stände in der Ringstraße Nord, dort, wo der Lutz seinen Garten
hatte.
An Kerb-Mittwoch hatte die
Feuerwehr das Sagen. Nachmittags ab drei Uhr gab es Löschübungen an einem Backsteinhaus.
Danach begann der Tanz, mit ihm fing der Kerb-Mittwoch erst richtig an. Da,
wo die Feuerwehr war, waren auch die meisten Leute.
Von ihrer Mutter weiß Lore, dass einmal an Kerb-Mittwoch ein
sehr starkes Unwetter aufkam, damals sind sämtliche Verkaufsstände, die auf der
Hauptstraße aufgestellt waren, weggeschwommen. Von der Bahnhofstraße bis zum
Neuen Bau war alles überschwemmt.
Zu essen gab es, genau wie noch heute, Bratwurst mit Brot
und Rippchen mit Sauerkraut, aber Lore meint, als wir jung waren, haben wir
doch nicht ans Essen gedacht…
Manchmal gab es auch eine Schlägerei
auf der Kerb, z.B. die an der Hartig, das war schlimm…
Festumzüge gab es zur Kerb nie, nur zu Festen von der
Feuerwehr oder den Sängern, den Turnern und so weiter.
Danke wieder mal für die schönen Kindheitserinnerungen. So wie das Mädel auf der Schaukel hatte ich auch die Haare. War wohl Hochstädter Standartfrisur. LG Susanne Okon (Sperschneider)
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